:: zukunftsstandort
Die im Saarland eingesetzte "Kommission
der Industriekultur" unter Leitung von Karl Ganser, machte im Jahr
2000 den Vorschlag, die ehemalige Tagesanlage der Gruben Göttelborn
und Reden sowie das Weltkulturerbe Völklinger Hütte als Zukunftsstandort
umzunutzen. An diesen Standorten soll in den nächsten zehn Jahren
der Strukturwandel im Saarland beispielhaft für andere Standorte
bewältigt werden. Für die "Kommission der Industriekultur"
sind Zukunftsstandorte Zentren der Innovation, die mit außergewöhnlichen
Freiheiten ausgestattet sind. Die Arbeit der "Kommission der Industriekultur"
schöpft dabei aus den Erfahrungen, die im zehnjährigen Prozess
der "Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher-Park" gewonnen
wurden.
Im Bereich des "IBA-Emscher-Parks" in Nordrhein-Westfalen gibt
es derzeit ebenfalls drei Standorte, die zu regional bedeutenden Zukunftsstandorten
ausgebaut werden sollen. Für das Weltkulturerbe "Zeche Zollverein
in Essen", sowie für die ehemaligen Hüttengelände
"Phoenix in Dortmund" und "O.Vision in Oberhausen",
wurde dafür jeweils ein Großprojektantrag bei der EU gestellt.
Der Zukunftsstandort als innovatives Mittel zur Bewältigung des regionalen
Strukturwandels wurde sowohl im Saarland, als auch im Ruhrgebiet untersucht.
Die beiden ehemaligen Industrieregionen stehen unter dem starken Einfluss
der globalisierten Märkte der Welt. Die Globalisierung beschleunigt
den Strukturwandel von der alten Industrieproduktion zur High-Tech-Produktion
und zur Dienstleistung. Unter anderem dadurch ausgelöst, gibt es
auch einen gesellschaftlichen Wandel zur Wissens- und Informationsgesellschaft.
Neben dem Leitbild der Informationsgesellschaft gibt es daneben noch die
nachhaltige Gesellschaft und das Leitbild der schrumpfenden Gesellschaft.
Um den Strukturwandel zu bewältigen wurden in den beiden Regionen
die Stärken und Schwächen analysiert. In dem "Innovationsstrategiepapier
für das Saarland" wurden dabei die Cluster IT und Consulting,
Nano- und Biotechnologie, Wissensindustrie und Logistik als endogene Potentiale
des Saarlandes identifiziert. Während der Überarbeitung des
"Emscher Landschaftsparks" wurden auch in Nordrhein-Westfalen
im Jahre 2002 für das Ruhrgebiet zwölf Kompetenzfelder als zentrales
Handlungsfeld der Strukturpolitik festgelegt. Während diese Clusterkonzeptionen
meist wirtschaftstheoretisch geprägt werden, sind Zukunftsstandorte
ein Versuch, den sich wandelnden, ökonomischen Bedingungen regional
und räumlich zu stellen. Mit Zukunftsstandorten sollen innovative
Antworten gefunden werden, wie in Zukunft die Menschen arbeiten, wohnen
und leben.
Der Begriff Zukunftsstandort ist nicht abschließend definiert. In
der seit Mitte der 1990er Jahre geführten Standort-Diskussion wird
der Begriff Zukunftsstandort in wirtschaftspolitischen Diskussionen gelegentlich
für regionale Wirtschaftsräume, für Bundesländer oder
für das Bundesgebiet benutzt. Ausgehend vom Technologie-Park-Konzept
wird der Begriff seit den 1980er Jahren auch auf lokale und regionale
Standortprojekte angewendet. Inzwischen geschieht dies fast inflationär
für die unterschiedlichsten Standorttypen.
THESEN
Ein Zukunftsstandort ist ein Ort
der besonderen Freiheiten, der Experimente sowie der Innovationen und
schafft Arbeitsplätze für eine Region. Wirtschaftlich gesehen
soll ein Zukunftsstandtort produktiv sein, um Arbeitsplätze zu schaffen,
Wachstum zu ermöglichen und Gewinne zu maximieren. Seit sich die
Industriegesellschaft zur Wissens- und Informationsgesellschaft wandelt,
wird gehofft, dass die Strukturkrisen durch Innovationen überwunden
werden können. Daher solle Forschung, Entwicklung und Anwendung am
Zukunftsstandort in neuen Unternehmen zusammengebracht und in die regionalen
Netzwerke integriert werden. Da ein Zukunftsstandort mit besonderen Freiheiten
ausgestattet ist, soll in Zukunftswerkstätten experimentiert werden
können.
Ein Zukunftsstandort hat ein kulturelles Profil, besitzt Industriekultur
und bietet regionale Identität. Zukunft kann nur aus der Vergangenheit
heraus leben. Das gilt nicht zuletzt für Innovationen, die meist
auf bereits bekanntem Wissen aufbauen. Um Menschen in die Zukunft mitzunehmen
und die Veränderungen verständlich zu machen, braucht es an
einem Zukunftsstandort Raum für kulturelle Auseinandersetzung. Der
Ort lebt aus der Vergangenheit heraus und bietet Identität. Darüber
hinaus kann ein Zukunftsstandort durch kulturelle Ereignisse regionale
und überregionale Aufmerksamkeit bekommen. Das kulturelle Erlebnis
unterstützt den Prozess, dass ein Zukunftsstandort zur Marke und
guten Adresse werden kann, um sich langfristig im regionalen und überregionalen
Bewusstsein zu verankern. Da die Zukunftsstandorte auf Industriebrachen
liegen, deren Geschichte durch die Montanindustrie geprägt sind,
wirkt Kultur hierbei als kulturtouristischer Anziehungspunkt.
Ein Zukunftsstandort ist das regionale Schaufenster und der Leuchtturm
der Region und stärkt das regionale Image. Den Menschen soll der
Strukturwandel anschaulich sichtbar gemacht werden. Sie sollen teilhaben
an den Veränderungsprozessen und lernen, diese an einem Zukunftsstandort
zu begreifen. Durch Messen und "Documenta" - Ausstellungen sollen
deshalb die Innovationen auf dem Zukunftsstandort temporär präsentiert
werden. Den Menschen soll der Entstehungsprozess von Innovationen sichtbar
gemacht werden. Zudem bietet dies den Raum, um für die Region und
den Standort zu werben und die Möglichkeit, für regionale und
überregionale Ausstrahlung zu sorgen. Dadurch wird die Region als
attraktiver Wirtschaftsraum vermarktet. Der Zukunftsstandort wirkt wie
ein Kirchturm der Region.
Ein Zukunftsstandort ist ein regionales Experimentierfeld neuer Wohn-
und Arbeitsformen in der urbanen Stadt. Ein Zukunftsstandort ist integriert
in die Stadt und in ein urbanes Umfeld. Der Zukunftsstandort soll lebendig
sein und Bezug zur Innenstadt haben. Nach der Erfindung des Autos wurden
die Städte durch den Individualverkehr immer mehr suburbanisiert.
Mit einem Zukunftsstandort soll diesem Prozess ein Gegenpol gesetzt werden.
Die Trennung der Funktionen und die Entmischung seit der Charta von Athen,
soll durch Funktionsmischung wieder aufgehoben werden. Arbeiten, Wohnen
und Leben an einem Ort soll wieder möglich, der öffentliche
Raum durch ein urbanes Umfeld an einem Zukunftsstandort wieder spürbar
und der Prozess dabei durch die gewachsene, urbane Innenstadt unterstützt
werden.
Ein Zukunftsstandort hat eine riesige Parklandschaft und Architektur mit
regionaler Ausstrahlungskraft, die hohe Qualität besitzt. Diese Parklandschaften
entstehen durch Experimente in der bildenden Kunst und der Landschaftsarchitektur.
Von besonderer Qualität ist die Architektur des Zukunftsstandortes
und seinen Merkzeichen.
HANDLUNGSFELDER
Zukunftsstandorte können den
Menschen der Region helfen aus der durch die Globalisierung verursachten
Identitätskrise wieder herauszukommen. Daher sollte Industriekultur
durch innovativen Umgang mit dem regionalen identitätsstiftenden
Element bewahrt, erlebbar gemacht und umgenutzt werden. Mit der innovativen
Umnutzung der Industriebauten und der denkmalgeschützten Gebäude
könnten Wege aufzeigen werden, wie kulturelles Erbe in positiver
Weise als regionale Baukultur umgenutzt werden kann. Der regionale, identitätsstiftende
Landschaftsraum sollte integraler Bestandteil des Zukunftsstandortkonzeptes
sein.
Die Mischung von Wohnen und Arbeiten ist wieder möglich geworden.
Die Aufhebung der noch in der Charta von Athen geforderten Nutzungstrennung
sollte an Zukunftsstandorten wieder experimentell stattfinden, um für
die Region neue Formen von Leben und Arbeiten an einem Ort aufzuzeigen.
Durch kleinteilige Nutzungsmischung und flexible Baustrukturen könnten
auf einem Zukunftsstandort neue regionale Maßstäbe gesetzt
werden. Um der globalen Individualisierung und Flexibilisierung einen
regionalen räumlichen Gegenpol zu geben, sollten Zukunftsstandorte
im städtisch urbanen Raum liegen. Aufgrund der zu erwartenden Schrumpfungsprozesse
kann ein Zukunftsstandort neue Impulse zur Reurbanisierung der Stadt sowie
zum Stadtumbau aufzeigen. Nach dem Modell der transformierten Stadt soll
die Region durch Zukunftsstandorte gestärkt werden.
Ein Zukunftsstandort sollte über regionale und überregionale
Netzwerke in engem Kontakt zu Forschungsinstituten stehen, selbst Standort
eines Forschungsinstitutes und Denkfabrik, oder Standort von Firmen sein,
die selbst Forschung betreiben. Im Vergleich zum süddeutschen Raum
ist in den altindustriellen Regionen ein gewisses Defizit im Bereich Forschung
und Entwicklung zu erkennen. Daher sollte versucht werden an Zukunftsstandorten
möglichst Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung anzusiedeln.
Zukunftsstandorte sollen vor allem das regionale Wissen, sogenanntes "tacit
knowledge" als endogenes Potential nutzen und in bestehende, regionale
Netzwerke integriert werden. Um Arbeitsplätze zu schaffen sollten
vor allem Start-Up Unternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen gefördert
und angesiedelt werden. Ein Zukunftsstandort sollte auch ein Ort der regionalen
Qualifizierung und Weiterbildung sein. Das können auch unabhängige
und interdisziplinäre Denkfabriken sein.
Ein kulturelles Image allein reicht nicht aus, um Unternehmer in die Region
zu ziehen oder diese zu halten. Vor allem müssen die harte Faktoren,
wie Autobahnanschlüsse, bei einer Standortprüfung überzeugen.
Daher haben die Zukunftsstandorte eine gute Voraussetzung das Image einer
Region zu verändern, die zum einen als Leuchtturm der Region bezeichnet
werden, als auch eine hohe Qualität besitzen.
Um die Qualität und die Innovationen
der Region sichtbar zu machen, scheinen regionale Ausstellungsflächen
auf den Zukunftsstandorten der richtige Weg zu sein. Dazu sollte der Standort
ein klares Profil besitzen. Diese können dazu dienen, die Region
besser nach außen zu vermarkten und regionale Produkte besser an
den Kunden zu bringen.
REURBANISIERUNG
Ein Zukunftsstandort sollte innerstädtische
Flächenpotentiale nutzen und nicht campusartig entfernt von der Stadt
angesiedelt werden. Wie die Reuurbanisierung der Stadt in Jena oder das
Technopolis-Modell in Finnland zeigt, ist Reurbanisierung auch eine Antwort
auf die zu erwartenden Schrumpfungsprozesse. Daher sollten campusartige
Konzepte wie die "Cité der Industriekultur" in Göttelborn
im Saarland nochmals grundsätzlich überdacht werden. Auch das
Konzept "walled city" der Zeche Zollverein ist zu zu sehr abgeschlossen
und sollte sich gegenüber den angrenzenden Stadtteilen von Essen
mehr öffnen. Der Zukunftsstandort in Völklingen hat viele Potentiale
und sollte daher als innenstadtnaher Raum genutzt werden.
Empirische Untersuchungen und theoretische
Analyse der Studie "Städte als Standortfaktor: Neue Stadtumbaupotenziale",
die im Rahmen des "Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus"
(ExWoSt) durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass bei kleinteiligen
Gewerbegebieten und vor allem bei den innerstädtischen Standorten
teilweise ein hoher Umnutzungsdruck herrscht. Zumal bei den bestehenden
gewerblichen Nutzungen häufig die Tendenzen zur Abwanderung in die
städtischen Randbereiche oder in das Umland von Agglomerationen festzustellen
sind. Zukünftig wird in diesem Gebietstyp ein erhebliches Umbaupotenzial
erwartet. Erhebliche Umbaupotenziale werden sich auch durch die umfangreichen
Flächenfreisetzungen von Bahn, Post und Telekom ergeben. Aber auch
das zunehmende Interesse großer Unternehmen zur Nutzungsintensivierung
ihres Flächenbesitzes lassen neue Aufgaben des Stadtumbaus entstehen.
Zukunftsstandorte könnten hier experimentell und beispielhaft Lösungen
aufzeigen. Denkbar wäre auch eine Bauausstellung für Wohnen
und Leben in der Informationsgesellschaft, wie beispielsweise in "Västra
Hamnen - City of Tomorrow" mit der Wohnarchitekturausstellung "Bo01"
im Jahr 2001.
NUTZUNGSMISCHUNG
Zur Stärkung der Stadt sollte
bei Zukunftsstandorten zudem auf eine kleinteilige Mischung der Funktionen
Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit gesetzt werden. In einigen Städten
wurde die kleinteilige Nutzungsmischung bereits erfolgreich umgesetzt.
Beispielsweise im "Loretto-Areal" und "Französisches
Viertel" in Tübingen, im "Klosterforst Itzehoe" oder
beim "Zentrum für intelligente Haussysteme", "inHaus",
in Duisburg.
FORSCHUNG
Um Firmen anzusiedeln
sollten auf Zukunftsstadnorten Forschungseinrichtungen wie die Steinbeisstiftung
in Baden-Württemberg oder nach dem Fraunhofer Modell gegründet
werden. Empfehlenswert ist auch der Versuch wie auf dem Zukunftsstandort
in Dortmund mit der MST.factory. In Völklingen und auf der Zeche
Zollverein wäre denkbar ein regionales, privat finanziertes "Media
Lab" zu installieren.
Für
die peripheren Standorte wie Göttelborn und Reden ist zu überlegen,
ob nicht eher eine temporäre interdisziplinäre Forschungsakademie
mit Landschaftspark oder ein exklusiver Treffpunkt wie Monte Verità,
eine Lösung wäre, als von den urbanen Zentren die Behörden
und Forschungseinrichtungen zu verlagern. Zur
Vernetzung sollten Räumlichkeiten geschaffen werden, an denen Gespräche
stattfinden können.
Zur
Vernetzung sind die Zukunftsstandorte an das regionale Breitbandnetz anzuschließen.Um
das kreative Milieu vor Ort zu unterstützen, sind auch informelle
und soziale Räume wie Sporteinrichtungen, Erholungsräume, Restaurants
und Cafés denkbar.
IMAGE UND
REGIONALE KOMPETENZEN
Die Zukunftsstandorte sollten in
regionale Gesamtkonzepte, wie beispielsweise die Regionalparks im Saarland
sowie im Ruhrgebiet, eingebunden sein und sich auf möglichst viele
Schwerpunkte der im Rahmen der Zukunftscluster im Saarland sowie den Kompetenzfelder
im Ruhrgebiet festgestellten endogenen Potentiale konzentrieren.
Der "Bilbao-Effekt" funktioniert jedoch
nur, wenn auch die Qualität und der Vorteil einer Region tatsächlich
vorhanden ist und überzeugend sichtbar präsentiert wird.
WISSENSVERMITTLUNG
Um Menschen
des Informationszeitalters Innovationen transparent zu machen, sollten
auf Zukunftsstandorten Ausstellungsflächen geschaffen werden, die
dies ermöglichen. In
Dortmund-Phoenix könnte beispielsweise der Bereich Mikrosystem- und
Informationstechnik in einer Ausstellungsform präsentiert werden.
Ein Beispiel für eine gelungene
Schnittstelle von Wissensvermittlung und Forschung ist das "Zentrum
für Kunst und Medientechnologie (ZKM)" in Karlsruhe. Auch die
Documenta für Design in Essen Zollverein ist eine brauchbarer Ansatz.
Um Wissen einer Region zu präsentieren scheint zudem das Konzept
des Science Park ein guter Lösungsweg zu sein, wie er beispielsweise
in Völklingen geplant war.
IDENTITÄT
Um Identität
zu stiften, sollten die ehemaligen Industrieanlagen auf den Zukunftsstandorten
möglichst erhalten bleiben, denkmalgerecht saniert und umgenutzt
werden. Positive Beispiele von Sanierungen sind das Depot in Dortmund,
der Gasometer in Wien oder die vom Warenhaus Manufactum umgebaute alten
Waschkaue der ehemaligen Zeche in Waltrop.
Karl Ganser macht deutlich, dass
die Landschaft ein wesentliches Potential einer Region ist: "Landschaft
ist die Infrastruktur der Zukunft, das reale Gegenstück zur virtuellen
Welt. Landschaft kennt keine Nachfrage, braucht keine Developer, keine
Nutzer, keine Mietverträge. Landschaft kostet weniger als Verkehrswege
und Gebäude und ist im Unterhalt weit weniger belastend als der Unterhalt
von Leerstand und dssen Rückbau." Der Freiraum eines Zukunftsstandortes
sollte daher Möglichkeit zur Erholung- und Freizeitgestaltung dienen
und als Landschaftspark umgestaltet werden. Ein gutes Beispiel hierfür
ist der "Landschaftspark Duisburg-Nord".
TEXT:
Robin Derdau,
Kurzfassung aus "Mediale Untersuchung von Zukunftsstandorten im Saarland
und Ruhrgebiet als innovatives Mittel für den regionalen Strukturwandel",
Kaiserslautern, 2004.
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